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Johann Michael Fritz

Das evangelische Abendmahlsgerät in Deutschland. Vom Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches.

Mit Beiträgen von Martin Brecht, Jan Harasimowicz und Annette Reimers. Seiten ca. 4oo, Hardcover ISBN 3-374-o22oo-5, EUR 88,00 . EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT – LEIPZIG 2OO4

Nur überrascht und fast beschämt wird man dieses Buch schon nach der ersten Durchsicht, verführt von den phantastischen und sehr eindrucksvollen und fast durchgängig farbigen Fotos der mehr als 600 gezeigten und in einem „Katalog“ nach Herkunft und Geschichte dokumentierten Abendmahlsgeräte (Kelch, Patene, Hostiendosen und Kannen und mit den auch späteren Sonderformen wie Becher und Brotschalen der reformierten Gemeinden) aus der Hand legen; und erst recht sollte es so wohl dann auch all jenen ergehen, die in einem besonderen Maße von amt wegen als Geistliche oder Synodale auf die Pflege der „ Vasa Sacra“ für das gottesdienstliche Leben zu achten hätten, aber dennoch nur allzu oft solche Kleinodien aus Sorglosigkeit oder auch nur Ahnungslosigkeit gegenüber dem nicht nur kunst- oder kulturgeschichtlichen Wert Schaden genommen haben.

Längst hätte uns nämlich bewußt werden müssen, daß wir nach wie vor in einer, wenn auch durch die Geschichte inzwischen konfessionell gegliederten, aber dennoch nicht weniger wirklichen „Oekumene“ lebten, wie sie sich aus der Aneignung und Kenntnis der gemeinsamen und vor allem auch der vorreformatorischen Kirchengeschichte wie von selbst und ohne weitere historische Retusche von vermeintlich immer wieder neu zu formulierenden „oekumenischen“ Postulaten erfüllte, und so auch neben dem Geleitwort von Präses Kock, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche im Erscheinungsjahr dieses Buches insbesondere von katholischer Seite gleichfalls mit einem begleitenden Wort durch den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann zum Ausdruck gebracht worden war.

Beeindruckend und geradezu überwältigend ist nämlich der Reichtum, der hier in einem fast schon enzyklopädisch anmutenden wissenschaftlichen Werk von Johannn Michael Fritz – bis zu seiner Emeritierung 1998 Ordinarius für Kunstgeschichte in Heidelberg und seit 1994 zugleich auch Sektionsleiter für Kunstgeschichte der Görres-Gesellschaft, vorgestellt wird. – Denn trotz aller immer wieder während gesellschaftlicher Umbrüche zutage tretenden Zerstörungswut (allein in Straßburg wurden während der Reformationszeit, Anfang des 16. Jahrhunderts fast 9o% aller kirchlichen Kunstwerke absichtsvoll vernichtet) oder der Verluste, vor allem auch des letzten Krieges, kann man sich jene Tatsache gleichwohl nur noch mit höchstem Erstaunen vor Augen führen lassen, daß es nirgendwo in Deutschland gleichwohl dennoch (und immer noch) so viele (vermutlich etwa 2 bis 3tsd.) mittelalterliche Kelche gibt, wie eben in evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden, was deshalb auch den Verfasser, Professor Fritz, schon in einem früheren Zusammenhang, bei der Herausgabe eines Bandes mit Beiträgen aus einer Tagung der Görresgesellschaft in Dresden 1995 zu der Formulierung veranlaßte, „Von der bewahrenden Kraft des Luthertums“ (Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen, Regensburg 1997). Denn nur aus dieser immer noch viel umfassenderen und größeren geistlichen Einheit der Kirche und deren Geschichte, oder wie sie auch in der über eineinhalb Jahrtausenden unbestrittenen oekumenischen Gemeinschaft zwischen Ost und West im Credo (dem Symbolum Nicaenum), und das darum auch in die lutherischen Bekenntnisschriften 153o aufgenommen worden ist, ungeschmälert ihren Ausdruck fand: Et unam, sanctam, catholicam et apostolicam ecclesiam, wurden mithin so auch die überkommenen Meßkelche einfach in den nun „lutherischen“ Kirchen weiter benutzt, auch wenn die Kelche für die nun wieder auch üblich gewordene Laienkommunion „in beiderlei Gestalt“ als ursprünglich nur für den Priester gedachten, also relativ klein waren und sie sich damit eigentlich auf die Dauer als viel zu unzureichend erweisen mußten, und Neuanfertigungen darum dann später eine etwas größere Kuppa zeigten.

Doch diese historischen Bezüge sind heute weitgehend auch aus dem theologischen Bewußtsein geschwunden; und so werden auch die reformatorischen Veränderung im gesamtkirchlichen Kontext, selbst entgegen aller auch noch so großen Fülle an geistesgeschichtlicher Literatur kaum oder überhaupt nicht mehr erkannt. Der Rezensent darf deshalb hier auch den Hinweis hinzusetzen, daß Mittel-, Nord- und Ost-Europa (Polen und Litauen) seit ihrer Christianisierung nie den „Laienkelch“ gekannt haben; denn spätestens mit Beginn der „Gotik“ war der „Laienkelch“ nicht mehr üblich, wie ebenso auch der nur noch an besonderen Tagen gelegentliche Sakramentsempfang der Gemeindeglieder. Man hörte fortan die Messe. Die Kommunion geschah durch das Wort. Und lag hierin vielleicht auch der Grund, weshalb die überall aus jener Zeit zu findenden gotländischen Tauffünten in Norddeutschland nun die Form eines Kelches annahmen. Gleichsam wie unbeabsichtigt verwies so jedenfalls der nur noch vom Priester in der Messe gebrauchte Kelch ( „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich, Christus, trinken werde…/Mt 2o 22; Mk lo 38 – …und im Text (S. 15) findet sich der Dürersche Holzschnitt „Vom letzten Abendmahl 1523″: auf dem Tisch der Kelch und sonst nichts) auf eine und noch lange vor den Wittenberger Ereignissen virulente, eben vor- reformatorische Entdeckung; und also damit auch die Wiedereinführung des Laienkelches keineswegs als ein besonders charakteristisches Erkennungszeichen (wie zuvor bei den Utraquisten, den böhmischen Brüdern, Hussiten usw.) gewesen war: „Zum Wort Christi tun wir nach Christi Gebot im Abendmahl Brot und Wein“, und die „Wandlung“ eben nicht „durch unser Tun“, sondern durch „Christi Wort und Ordnung“ geschähe (so Luther 1533 /Walch XIX 1274); oder: „Bei dem Sakrament des Abendmahls sollte man predigen und den Herrn Christus nicht vergessen, denn um der Predigt willen ist das Abendmahl eingesetzt“ (WalchVIII 7 – nämlich: „Zur Vergebung der Sünden und zum ewigen Leben“, und es so schon aus der westsyrischen Jakobusliturgie nach 381 (cf.TRE I 254f.) überliefert wurde). Wie von selbst waren aber damit auch zugleich in der lutherischen Reformation mit den „Verba testamenti Christi“ alle weiteren und damit immer nur viel zu engen Begriffsdeutungen (wie der einer „Transsubstantiation“) gesprengt und die Unmittelbarkeit der Gegenwart Christi i m Wort und Sakrament gleichermaßen zurückgeholt: „Christi Worte machen (allein), daß wir im Sakrament Leib und Blut Christi essen und trinken“, und zwar „leiblich und wesentlich“ (Walch XIII 1327).

Es gehörte darum auch zum Selbstverständnis einer evangelischen Christlichkeit, daß die lutherische Reformation auch nur aus der Gesamtgeschichte der westlich-lateinischen (und ursprünglichen römischen) Kirche ihren „Stellenwert“ zu finden vermochte; bereits der Codex Justinianus stellte fest, daß der Kaiser die „doctrina evangelica“ der „katholischen Christenheit“ zu schützen habe; und dieses tausend Jahre später genauso auch von den Lutheranern vor Kaiser und Reich als Rechtstitel, nämlich in Wahrheit nicht weniger „evangelisch“ zu sein, beansprucht worden ist. Luthers Anliegen war darum auch, genau genommen, nie wirklich „konfessionell“ zu isolieren, sondern immer nur allein als das bis heute unerläßliche Ferment für die nur eine gemeinsame universale Gesamtkirche richtig einzuordnen und zu verstehen, aber so auch auf evangelischer Seite nicht mit dem Bestreben nachgelassen werden dürfte, auch diese eigene theologische Tradition und Verkündigungsgeschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Unverkürzt hatten jedenfalls die lutherischen Kirchen damals die theologische Weite auch der überlieferten Auslegungsgeschichte übemommne und weitergetrieben. Die Gravuren als Bild und Text auf den Abendmahlsgeräten übernahmen somit ganz selbstverständlich die concordantia veteris et novi testamenti, wie sie etwa mit den Mosaiken als Bildzyklus in der Lateransbasilika ihren gestalterischen Anfang nahm und auf dem VH.Oekumenischen Konzil 787 in Nicäa sehr wohl eine erhebliche Rolle (also in der Entsprechung: auf der einen Seite Adam, der aus dem Paradies ging, und auf der anderen der gute Schacher, der dort eintreten durfte…) zu spielen begann.

Diese theologische Fülle war also somit dann hier auch auf den nun „evangelischen“ Abendmahlsgeräten genauso zu finden und wurde während des Barocks (und vor allem auch in Augsburger Werkstätten) weiter vervollständigt, so wenn etwa eine Hostiendose (die Bezeichnung „Hostie“ lief auch im protestantischen Sprachgebrauch zunächst gleichwertig neben dem der „Oblate“) in Gestalt einer Bundeslade auftauchte, und damit eine kerygmatische Aussageverdichtung vorgenommen wurde, wie sie zuvor wohl kaum schon jemals auszusprechen gewagt worden war, und das Sakraments Verständnis über das bisher in der Messe erlebte gottesdienstliche Handeln hinaus so radikal vertieft, wie es auch alle Dogmatik bis dahin kaum auszudrücken vermochte. Die Unanschaubarkeit Gottes zwischen den Seraphim als Wächter zu beiden Seiten auf der Bundeslade hatte sich in die Gestalt des in den Evangelien sichtbaren Christus (leiblich geboren usw…) zu der unmittelbaren gegenwärtigen und personhaften Gabe für den Empfangenden verwandelt; oder in den Worten der lutherischen Spendenformel: „ …für euch dahingegeben in den Tod – das stärke und bewahre euch zum ewigen Leben (…wie wortgleich auch im Taufakt! – Doch für Tauf gerate, Schalen und Kannen steht noch eine vergleichbar umfassende Arbeit aus).

Die Feststellung von Melanchthon in seinem „Entwurf“ zur Vorrede für die Überreichung der Confessio Augustana dürfte darum, und erst recht heute, für die „Evangelischen“ eine besonders ernst zu nehmende Mahnung und Verpflichtung sein, auch den Anspruch zu einem aufrichtigen reformatorischen Bemühen (eben dem einer ecclesia semper reformanda) zu begründen und zu „rechtfertigen“: „…daß in ganz Deutschland die Messe nicht mit größerer Gottesfurcht… gehalten werde, denn bei uns. Sie werde auch nach gemeinem Gebrauch gehalten, allein, daß unter den lateinischen auch deutsche Gesänge gebraucht würden, damit das Volk etwas habe, das es verstehen und lernen kann“ (2o/25).

Und nun wird uns mit dem vorliegenden Buch endlich ein solcher Spiegel vorgehalten. Seltsam, daß dieser Mangel nicht schon weit früher von evangelischen Wissenschaftlern erkannt, sondern die Behebung allenfalls bisher denkmalpflegerisehen Inventarisationen überlassen wurde. Doch die Wiederentdeckung gottesdienstlicher Verantwortung auch gegenüber so zentralen kirchlichen Kunstwerken über Jahrhundert hinweg geschähe nie zu spät, auch wenn sich durch die nach 1945 eingetretenen Umstände für die der evangelischen Kirche verlorengegangenen Gebiete innerhalb der Grenzen des „Alten Reiches“ bis I806 (also heute jenseits von Oder und Neiße) nur noch ganz weniges durch glückliche und oftmals auch nicht mehr aufzuhellende „Zufälle“ als gerettet an anderen Orten „im Westen“ (zum Teil aber auch zunächst unbeachtet) wiederfand; so das Abendmahlsgerät aus dem ostpreußischen Pillau – heute in der Kirchengemeinde Schiffdorf, Krs. Wesermünde (S.519 u.Abb.54o).

Gemeinden, die heute solche Schätze hüten, werden wie wohl auch jeder, der sich hier aufmerksam mit den Ergebnissen dieses Buches zu beschäftigen bereit ist, sehr schnell erkennen, daß die Betrachtungen kaum beim dargestellten Objekt stehenbleiben können. Unversehens werden auch für solche Kirchengemeinden Verbindungen und Zusammenhänge deutlich, die nur in allen Gemeinsamkeiten kirchlicher Einheit Menschen auch über die eigenen Grenzen einer nur zuvorschnell selbstgesuchten Sinndeutung hinausführten und zur Wandlung und Umkehr gegenüber allem Unbillen und Schein der Ereignisse im Angesicht Gottes riefen, und wie es vielleicht auch das Schicksal des Hallenser Goldkelches umschloß, als er während des Dreißigjährigen Krieges in den Dom von Uppsala gelangte und damit der so gut wie sicheren Vernichtung in Magdeburg entging. Gott überholte eben stets die scheinbar so unverücktbare Eindeutigkeit menschlicher Geschichte mit ihrer Schuld, und stellte sie immer wieder zur Versöhnung vor Augen: „Solches tut zu Meinem Gedächtnis…“ Oder wie sich schließlich Joseph seinen Brüdern zu erkennen gab: „Ihr gedachtet, es böse… zu machen, aber Gott… wie es jetzt am Tag ist, zu erhalten viel Volks“ (Gn 5o 2o).

Wenn dem Rezensenten abschließend noch ein Wunsch erlaubt sei, möchte er bitten, dem Buch gleichwohl eine Karte mit Herstellungs- und Aufbewahrungsorten beizugeben, auch wenn hier und da einige landeskirchliche Bedenken (und welcherlei Art auch immer) dieses nicht weiter verfolgen ließen, nachdem auch der historische Bestimmungsort mit dem heute tatsächlichen verschiedentlich nicht mehr übereinstimmte. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung dürfte aber dennoch auch der sicherste Schutz gegen alle noch so verdeckten Versuchungen darstellen, diese und andere „Kirchenschätze“ in den auch manchmal sehr schattenreichen Handel mit Kunstgegenständen geraten zu lassen oder sie gar anderer Verwertung zuzuführen. So war die Abendmahlskanne in Reinkenhagen in Vorpommern vor Jahrhunderten aus der Schatzkammer der pommerschen Herzöge, ein Geschenk des Kaisers Sigismund (geb. 1368) und Enkel des Herzogs Bogislav V. (wann und durch wen (?) im 17.Jahrhundert) der Gemeinde zum gottesdienstlichen Gebrauch anvertraut und übereignet worden. Aber noch vor dem I.Weltkrieg gelangte sie bestimmungswidrig in den Besitz eines Sammlers (J.Pierpont) und ist heute eines der Prunkstücke des Metropolitan Museum in New York. – War es also die Gemeinde über die Jahrhunderte nicht wert, und wie konnte die hier aufsichtsführende landes- bzw. provinzialkirchliche Behörde so versagen…

 

Dr.Thomas Buske / Berlin

 

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